Chiemgau? Das klingt nach Chiemsee, Seniorenferien und Kururlaub fand unser Autor. Dabei sind dort – nicht zuletzt dank exzellenter Wintersportbedingungen und Trainingsstätten dort einige der besten deutschen Leistungssportler zu Hause. Wer im Chiemgau auf Langlaufski oder Kufen unterwegs ist, wandelt in den Spuren von Olympiasiegern – und mit etwas Glück läuft man ihnen sogar über den Weg. Wir haben‘s ausprobiert.
Es schneit aus tief liegenden Wolken während Arbeiter auf den riesigen Tribünen herumklettern und zerlegen, wo vor wenigen Tagen noch bis zu 12.000 Gäste Biathlon gefeiert haben. Eigentlich mögen sie Schnee aus Flocken hier gar nicht, in der Chiemgau-Arena von Ruhpolding. Er macht die Strecke unberechenbar und langsam, auf der die besten Biathleten der Welt um Weltcup-Punkte jagen. Auch um unabhängig zu sein von der Witterung wird die knapp sechs Kilometer lange Runde im Chiemgau seit Jahren aus Kunstschnee produziert, der von bis zu 25 Schneekanonen ausgespuckt und dann zu einer bestenfalls 50 Zentimeter dicken Piste gewalzt wird.
Unterwegs auf der “Romantik-Loipe” von Reit im Winkl: Miss Chiemgau Bettina Scheiwein gefällt es offenbar – sie gibt das Tempo vor.
Im Moment sind es nur knapp 30 Zentimeter, also kann ein bisschen Nachschub nicht schaden. Auch wenn der Höhepunkt der Saison in dem vor vier Jahren für 16 Millionen Euro renovierten Ski-Stadion vorbei ist – der Winter ist noch lang und die Anlage gehört zu den wichtigsten Trainings-Zentren für Deutschlands Biathlon-Elite. Es sind imposante Zahlen, mit denen Otto Steinbacher bei einer Führung durch die Arena beeindruckt. Bis zu 32.000 Fans sorgen bei der Groß-Events hier für Stimmung – jetzt spielt die Musik aus den Lautsprechern nur für die „Roadies“, die die Anlage wieder auf normale Größe zurückbauen.
In Ruhpolding kann sich jeder mal als Biathlet fühlen
Gelegenheit, sich auf den Spuren der Stars einmal selbst als Biathlet zu fühlen. Biathlon-Legende Fritz Fischer hat zwei Kleinkaliber-Gewehre mitgebracht und zeigt, dass er auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende seiner Karriere nichts verlernt hat. “Jetzt Ihr.” Für das Erfolgserlebnis lässt der Olympiasieger seine Gäste liegend auf die deutlich größeren Stehendscheiben schießen. Fünf Schuss, fünf Treffer. Gar nicht so schlecht. Allerdings wird beim Gästeschießen auch vorher nicht gelaufen – und der heute 58-jährige Fischer hat seine Scheiben deutlich schneller abgeräumt als seine Gäste. Jetzt ist der Ehrgeiz geweckt, sind für Anfänger auch die viel kleineren Liegendscheiben zu treffen? Sie sind – aber mit nur mit weitaus geringerer Trefferquote und vor allem viel Geduld. Bis zumindest mal drei Scheiben gefallen sind, wären Fritz Fischer und Co längst über alle Berge.
Da sind auch die Heerscharen von Serviceleuten längst, die bei den Profis für schnelle Ski sorgen – nach Ruhpolding und Antholz machen die Biathleten in Nove Mesto, Oslo, Kontiolathi und Khanty Mansiysk Station. Während in der Chiermgau-Arena ihr riesiges Containerdorf abgebaut und auf Tieflader gehievt wird, steht Robert Hochreiter in Inzell mit seinem Expertenwissen auch Hobby-Langläufern zur Verfügung.
Winteridylle pur: Die St. Anna Kapelle wurde 1906 von den Bauern der Hemmersuppenalm erbaut.
Wer freundlich fragt, darf mit etwas Glück sogar ins Allerheiligste, den Wachsraum im Hinterzimmer seines Sportgeschäftes. Dort nimmt sich Hochreiter für einen guten Service den Langlaufski von Gästen wie Rennläufern auch von Hand an. Abhängig von Witterung und Schnee sorgen verschiedene Wachse und Techniken dafür, dass die Ski perfekt laufen. “Eigentlich alles relativ einfach, aber man hat natürlich auch so seine Tricks, die man niemals verrät”, sagt der 45-Jährige, während er mit geübten Handgriffen Wachs auf die Lauffläche der Ski tropft und mit einem speziellen Bügeleisen glattzieht. Erst wenn gar nichts mehr geht, geht er mit einer Maschine an die empfindlichen Beläge. Mit einem rotierenden Schleifstein kann Hochreiter der Lauffläche eine filigrane kaum sichbtbare neue Struktur verpassen, die verbunden mit dem richtigen Wachs dem Ski erst richtig Fahrt verleiht.
Höchste Zeit, endlich selbst auf die schmalen Bretter zu steigen, die in Chiemgaus Winterwunderland Welt bedeuten. Auf der Hemmersuppenalm wartet Tobias Angerer, elffacher Weltcup-Sieger im Skilanglauf mit Tipps für Langlauf-Anfänger. Am Vormittag gab’s ein Fotoshooting mit potentiellen Kandidatinnen zur Wahl der “Miss Chiemgau”. Im dichten Schneetreiben sind allerdings nur vier von neun Kandidatinnen angetreten. Die anderen bereiten sich lieber daheim auf die abendliche Wahl vor statt sicht mit dem Profi durch den Schnee zu kämpfen – und minimieren damit ihre Chancen auf die Krone. Logisch, sollte eine “Miss Chiemgau” doch auch auf wackeligen Brettern eine gute Figur machen. Und eigentlich ist es auch gar nicht so schwer.
Schießtraining mit dem Profi: Olympiasieger Fritz Fischer zeigt heute auch Gästen den Umgang mit Ski und Biathlon-Gewehr.
“Vor allem locker auf dem Ski stehen”, sagt der Profi
“Skating, das ist irgendwie wie Walzertanzen im Schnee”, hatte Fritz Fischer gesagt. “Vor allem locker auf dem Ski stehen”, sagt Tobias Angerer – und was bei ersten Skatingversuchen noch arg wackelig aussieht, entwickelt sich unter Anleitung des zweifachen Olympischen Silbermedaillengewinners schnell zu einer veritablen Vorwärtsbewegung. Wer die Technik beherrscht oder in klassischer Spur Kilometer machen will, findet auf der Hemmersuppenalm übrigens eine großartige Panoramaloipe – außer es schneit in dichten Flocken wie beim Langlauf mit Angerer, was der Winterlandschaft dafür eine ganz eigene Stimmung verleiht.
Der 37-Jährige, der seine Karriere nach den Olympischen Spielen in Sotschi beendet hat, kommt aus Traunstein und gehört zu den sportlichen Aushängeschildern einer Region, die nicht zuletzt dank ihrer Sportstätten die vielleicht höchste Wintersportprominenz-Dichte Deutschlands hat. Nach Angerer ist sogar eine eigene Loipe benannt, mit Rait im Winkl und der Winklmoosalm ist untrennbar der Name Rosi Mittermaiers verbunden. Die sportliche Heimat der dreifachen Olympiasiegerin Anni Friesinger liegt nur wenige Kilometer entfernt – die “Max Aicher Arena” in Inzell gilt als die modernste Eislaufhalle der Welt.
Eine Challenge: Beim Stehendschießen bringt der gesamte Schwarze Bereich einen Treffern, beim Liegendschießen sind die Trefferflächen deutlich kleiner, zeigt Biathlon-Olympiasieger Fritz Fischer.
In Inzell steht die modernste Eishalle der Welt
Szenenwechsel unters Dach. Wo früher Anni Friesinger ihre Runden drehte, trainieren heute die Stars von morgen. Gleichmäßig gleiten sie über die Runde, einige laufen kurze Intervalle. Auf dem Eisfeld im Innenraum ist mehr Action. Der Eishockey-Nachwuchs übt Torschüsse derweil Hubert Graf über Eistemperatur und Luftfeuchtigkeit referiert. Der Mann ist nicht nur Vorsitzender des DEC Inzell-Frillensee, des heimischen Eissportvereins, sondern vor allem Chef der “Max-Aicher-Arena”. In der Halle, zuletzt 2011 Austragungsort von Eisschnelllauf-Weltmeisterschaften, arbeitet eine ganze Mannschaft an Wissenschaft von schnellem Eis beschäftigt. Nicht zu kalt darf es sein, aber auch nicht zu warm. Und je nach Disziplin dann doch wieder anders. “Sprinter lieben es eher weich, Langstreckler eher hart”, erklärt Graf. Und nebenbei hat er auch ganz alltägliche Sorgen: Die steigenden Kosten für Energie belasten das Budget. “Da müssen wir uns mittelfristig was einfallen lassen”, so Graf.
Der Stolz auf “seine” Arena ist dem Herrn des Eises deutlich anzumerken. Noch besser, als den Eismeistern bei einer Führung auch hinter die Kulissen der Anlage zu folgen, die vor vier Jahren mit dem Architekturpreis “World Sport Building of the Year” ausgezeichnet worden ist, wäre es nur, das legendäre Eis einmal selbst zu fühlen. In Inzell kein Problem: Jeden Mittwoch gibt es eine öffentliche “Eiszeit”, bei der auch Gäste auf wackeligen Kufen über die die spektakuläre 400 Meter lange Rundbahn jagen dürfen.
Die vielleicht weltweit modernste Halle ihrer Art: Die “Max-Aicher-Arena” in Inzell, zuletzt 2011 Austragungsort der Eisschnellauf-Weltmeisterschaften.
Für die neue Miss Chiemgau wahrscheinlich ein sportliches Heimspiel. Mit sympatischer Ausstrahlung und sportlichem Auftritt hat Bettina Scheiwein sogar das Manko wett gemacht, dass sie gar nicht aus der Region, sondern aus Franken stammt und nicht einmal Bayerisch spricht. “Aber ich habe mich in die Region verliebt”, sagt die 28-Jähige mit einem Lächeln – und präsentiert sich wenige Stunden nach der Wahl auch als perfekte Sportbotschafterin.
Dafür, dass sie in ihrem Leben erst drei Mal auf Langlaufski stand, gleitet sie beeindruckend sauber und ausdauernd über die “Romantik-Loipe” von Reit im Winkl. Ganz einfach eigentlich – wie Fritz Fischer gesagt hat. Das Winterprogramm im Chiemgau muss unbedingt ergänzt werden. Denn was ist Biathlon mit Fritz Fischer oder Langlaufen mit Tobias Angerer schon gegen Walzertanzen im Schnee mit Miss Chiemgau?
Hinweis: Der Autor wurde von Chiemgau Tourismus auf diese Reise eingeladen.




